Links wo das Herz ist - Roman by Aufbau

Links wo das Herz ist - Roman by Aufbau

Autor:Aufbau [Aufbau]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-07-15T00:00:00+00:00


VI

Michael ging an den Abenden nicht mehr aus, die Erscheinung Ilonas hielt ihn zurück am Schreibtisch und war anwesend, während er schrieb. Er arbeitete Tag für Tag fünfzehn Stunden, bis »Das Ochsenfurter Männerquartett«, der kürzeste seiner Romane, fertig war.

Während dieser Arbeit von einundeinhalb Jahren war Michael zu der Überzeugung gelangt, daß im schnellen zwanzigsten Jahrhundert jedes Romanthema auf 300 bis 400 Seiten vollendet abgewandelt werden könne, wenn es gelänge, in klarer, einfacher Sprache mit den treffenden Worten immer nur das Wesentliche der Schauplätze und Situationen, nur das Charakteristische der handelnden Personen zu schildern und dennoch einen scheinbar von selbst entstandenen ruhigen Fluß der Geschichte zu erzielen. Da erscheine diese neu geschaffene Wirklichkeit, von der vorher nichts existiert habe, dem Leser so selbstverständlich wie die Wirklichkeit. Ein auf diese Weise geschriebener Roman könne unvergleichlich mehr an Lebensvorgang und Menschenschicksalen enthalten als ein breit geschriebener Roman in drei Bänden über dasselbe Thema, und er fessele stärker das Interesse des Lesers. Nur koste der verkürzt geschriebene Roman auch unvergleichlich mehr Hingabe und Arbeit als der dickbäuchige. Der Romanschriftsteller, der auf diese spartanische Weise viel weglasse und dennoch nichts, sei berechtigt, den Bergarbeiter zu beneiden.

Er fuhr nach Leipzig und übergab das Manuskript seinem Verleger Kippenberg. Auf dem Weg zurück ins Hotel – es war ein klarer sonniger Morgen – vernahm er, als er den Kirchplatz überqueren wollte, vielstimmigen hohen Engelsgesang, der aus dem Himmel kam und nur aus dem Himmel kommen konnte. Er trat in die Kirche. Außer ihm schien niemand hier zu sein. Sonnenstrahlen, riesigen Sägeblättern gleich, durchzogen wie auf den religiösen Bildern der alten Meister schräg das ganze Kirchenschiff. Der Knabenchor, der eine Bachsche Motette sang, war nicht sichtbar – das hohe Kircheninnere sang. Er setzte sich und lauschte, bis auf den Grund bewegt, und saß in der Münchener Tonhalle, wo er das erstemal in seinem Leben eine Symphonie von Beethoven gehört hatte. Er erinnerte sich: ›Diese Musik hat ein Mensch geschaffen? Das könnte den Gläubigen ungläubig machen – daß es nämlich keinen Schöpfer gibt außer dem Menschen.‹

Den folgenden Abend saß er Kippenberg am Schreibtisch gegenüber, vor sich sein Manuskript. Er schob es hinüber, während Kippenberg den Scheck, auf dem eine fünfstellige Zahl stand, herüber schob. Das Geldgeschäft war abgeschlossen. Nicht eine Szene, nicht einen Satz geschrieben oder geändert zu haben mit dem Blick auf Geld, und für den Roman dennoch Geld zu bekommen, war ein gutes Gefühl.

Kippenberg holte eine Flasche Mosel aus dem Keller. Als die Gläser gefüllt waren, sagte er, Michael habe an einer Stelle das Wort »Popo« gebraucht. Er schlage »Hintern« vor. Michael strich »Popo« und schrieb »Hintern«. Und dann sprachen der passionierte Verleger und Michael bei einem Glase Mosel über die deutsche Dichtung. Es war ein schöner Abend.

Einige Tage später kehrte Ilona aus Warschau zurück, begleitet von ihrer Mutter, die in Berlin bei alten Freunden wohnte. Auch Ilonas Mann war zurückgekehrt. Er hatte die Scheidung nicht eingeleitet. Daß in den Jahren vorher die Scheidung schon mehrmals beschlossen und nicht durchgeführt worden war, wußte Michael. Die besonderen Gründe kannte



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